Spielball – Als Angstpatientin beim Zahnarzt

„Und er hat gar nicht gebohrt!“

Solche total aufbauenden Worte hat meine Mutter immer gesagt, wenn mir ein Zahn gezogen wurde. Sie hat aber auch leicht reden, lässt sie sogar Behandlungen ohne irgendwelche Betäubung durchführen. Für mich ist das eine grauenvolle Vorstellung, habe ich doch da das „Angst-Gen“ von meinem Vater mitbekommen. Bei ihm war es sogar so schlimm, dass er nicht zum Zahnarzt gegangen ist, bis wirklich alles Grün, Blau und dick war … Natürlich hat es das lange Warten nur noch schlimmer gemacht. Klar, dass es mehr schmerzt, wenn ohnehin schon alles geschwollen und wund ist …

Die Angst ist echt

Trotz dieses Wissens kann ich nicht aus meiner Haut und ich bekenne mich: Ich habe Angst vorm Zahnarzt!

Oft bekomme ich dann eine wegwischende Handbewegung: „Ach, so schlimm ist das alles nicht!“ – Wohlgemerkt nur von Personen, die den Besuch in der Praxis nicht scheuen.

Dazu kann ich nur sagen: Doch es IST schlimm! Für Menschen (wie mich) die vor etwas bestimmten Angst haben, ist oft die alleinige Vorstellung purer Stress. Bei mir ging es bereits gestern Abend los, weil ich ja wusste, dass ich heute einen Termin habe. Mir war total übel. Heute Morgen ging es dann weiter, von erhöhtem Puls bis hin zu Durchfall. – Ich habe mir heute mal den Spaß gemacht und meinen Puls gemessen, als ich in der Praxis war. Meine Ruhepuls liegt so bei etwa 66, beim Termin heute stieg er auf 125 BPM!

Angst besiegt man nur, in dem man sich ihr stellt.

Wieder so ein toller Spruch, der schnell dahin gesagt ist – wenn man keine Angst hat … Generell stimme ich ja erst einmal zu. Allerdings hat es in meinem Fall oft eher das Gegenteil bewirkt:

Als Kind war es bereits so das, selbst wenn ich nur zur jährlichen Kontrolle war, ich danach Zahnschmerzen hatte. Mehr als einmal wurde ich auch vom Arzt angeschrien, weil ich meinen Mund nicht aufmachen oder dieses Ding zum Draufbeißen nicht in den Mund nehmen wollte. Dabei hatte ich einfach Angst …

(Ich erinnere mich noch daran, wie mir die Zahnarzthelferin einen kleinen Trost, in Form einer Süßigkeit oder kleinen Spielzeugs, geben wollte. Ich habe sie IMMER abgelehnt und, auf die Verabschiedung: „Bis bald“ erwiderte ich: „Hoffentlich nicht.“ Ich hatte eben meine Prinzipien!)

Jetzt sollte man meinen, dass mit dem Alter auch die Angst nachlässt. Doch leider scheinen (die meisten) Zahnärzte entweder Sadisten zu sein oder zumindest zu erwarten, dass Patienten mit gesunden und strahlend weißen Zähnen zu ihnen kommen und natürlich bitteschön der Norm (dem Lehrbuch) entsprechen:

Der Unfall den ich nicht hatte

Eine recht junge Zahnärztin sah in meinem Mund und fragte mich, wie das passiert sei, ob ich einen Unfall gehabt habe. Völlig irritiert verneinte ich. Aber sie beharrte darauf: „Das MUSS ein Unfall gewesen sein! Ansonsten gibt es so etwas nicht!“ Ich habe überhaupt nicht verstanden was sie von mir wollte. Erst später kam raus, dass Sie meinen Unterkiefer meinte. Bei mir ist der Unterkiefer kürzer, als der Oberkiefer, was zur Folge hat das meine Zähne eben nicht übereinanderliegen, wie bei diesen Gebissmodellen, die immer so schön für Zahnputzlehrgänge verwendet werden. (Funfact: Das ist mir selbst aber tatsächlich bis zu diesem Zeitpunkt nie aufgefallen! Es war aber kein Unfall. Bei meiner Mutter ist es genauso, muss also vermutlich in den Genen liegen.)

Der Kredit den ich nicht brauchte

Ein moderner junger Zahnarzt, mit einer Praxis deren Einrichtung aus einem Villenkatalog entsprungen schien, schaffte es, dass die (von ihm) eingesetzten Füllungen mehrmals herausfielen. Das zog natürlich Folgetermine nach sich – auf die ich gerne hätte verzichten können, auch wenn es „nur“ die Füllung war, die wieder rein musste. Ich erhielt einige Angebote für (teuren) Zahnersatz, damit dieses „Problem“ in Zukunft nicht mehr bestehen würde. Einen Kredit hätte ich auch gleich dafür abschließen können. Zufällig hatte seine Frau bereits ein Angebot vorbereitet. – Ein Schelm wer dabei Böses denkt …

Die Lippe die verbrannte

Bei einer Wurzelbehandlung schaffte es die behandelnde Zahnärztin tatsächlich mir die Lippe zu verbrennen. Ich hatte noch tagelang sichtbare Spuren – und Schmerzen …Dazu habe ich damals sogar einen eigenen – durchaus humorvollen (!) – Blogartikel geschrieben. HIER nachzulesen.

Der Vorwurf der nicht stimmte

In der „Kurz-vor-Corona-Zeit“ ereilten mich immer wieder Zahnschmerzen, an einer ganz bestimmten Stelle. Ich suchte meinen damaligen Zahnarzt auf. Ergebnis: „Da ist nichts und wo nichts ist, kann ich nichts machen.“ Einfach abwarten sollte ich, dass sich das legt. Ich wartete – und hatte noch immer Schmerzen. Also versuchte ich es bei einer Zahnärztin. Auch hier: „Da ist nichts.“ Und noch mal und … dann dachte ich mir: Okay, ein Versuch noch. Dieses Mal wollte ich es gleich richtig machen und suchte mir einen Zahnarzt heraus der, zumindest laut seiner Website, Angstpatienten behandelt. Dort konnte ich auch online einen Termin machen, was meine Hemmschwelle immer ein wenig senkt, da ich ja telefonieren hasse. (Noch so ein Funfact über mich.) Ich gab dort auch gleich an, dass ich Schmerzen habe und Angstpatientin bin. Sicher ist sicher und ich wollte ja, dass man auf mich eingeht. Das tat die Sprechstundenhilfe dann direkt, als ich die Praxis betrat: „Na, lange nicht beim Zahnarzt gewesen?“ – Ich grummelte ein „Nee, das hier ist erst die vierte Praxis innerhalb von ein paar Wochen.“ Heute ärgere ich mich ein wenig über mich selbst. Ich hätte direkt wieder gehen sollen!

Das waren nur vier Beispiele aus meiner (bisherigen) Zahnarztodyssee. Von Vorwürfen, Angeschrien und Ausgelacht werden bis hin zu Schmerzen die ich eigentlich gar nicht habe und Schmerzen bei und nach dem Besuch in der Praxis war schon so ziemlich alles dabei. Wundert es da wirklich irgendjemanden das ich Panik bekomme, wenn ich nur an einen Zahnarztbesuch denke? Vermutlich nicht …

Der Weg ist das Ziel

Jaaaa, auch das ist ein Spruch. Was soll ich machen, ich liebe Zitate! Aber ich muss mal, nicht ganz ohne Stolz, sagen das ich heute beim Zahnarzt war! Für andere ist es ein „Ja und?“, für mich ein „Juhu, ich lebe!“.

Ich entschied mich, wieder einmal, für eine Praxis, die von sich sagt, dass sie auf Angstpatienten spezialisiert ist. Ehrlich gesagt war meine Hoffnung nicht besonders groß, irgendwie anders behandelt zu werden, als in den letzten Jahrzehnten. Um so überraschter war ich, wie freundlich ich aufgenommen wurde. Im „Lesezimmer“ setzte sich die Sprechstundenhilfe sogar zu mir, um zu erklären, was ich noch alles ausfüllen muss. Das hatte ich bisher in keiner Arztpraxis (egal welche Fachrichtung) erlebt. Normalerweise bekam ich immer einfach alles, meist kommentarlos, in die Hand gedrückt.

Teilansicht eines Wartezimmers beim Zahnarzt
Selbst das Wartezimmer ist hier anders und erinnert (fast) ein Wohnzimmer.

Im Behandlungsraum fragte die Zahnarzthelferin schon im Vorfeld nach dem Grund meines Besuches. (Klar Zahnschmerzen, sonst wäre ich – ganz sicher – nicht hier.) Nur einige Minuten später kam dann der Zahnarzt – in blauem Kittel und mit einem freundlichen Lächeln, lehnte sich an einen der Schränke, als hätte er alle Zeit der Welt und begann sich mit mir zu unterhalten. Erst nach einigen Minuten sagte er dann: „Na dann zeigen Sie mir mal, was Sie im Angebot haben.“

Rosi auf dem Behandlungsstuhl beim Zahnarzt
Auf dem Behandlungsstuhl. Mein Puls rast …

Später kam noch ein Röntgen dazu – tatsächlich das erste Mal bei dem ich weder einen Würgereiz hatte, noch Schmerzen, weil mir irgendwas in den Mund geschoben wurde oder ich allzufest auf ein Mundstück beißen sollte. Noch überraschter sollte ich später sein, als ich die Praxis komplett ohne Schmerzen verließ. Gut, heute wurde auch nur der Zustand gecheckt, aber – siehe Vorerfahrung – das kenne ich so nicht! Der Zahnarzt erkläre mir was in meinem Mundraum so los ist, was gemacht werden muss, wie „wir“ das am besten angehen und beantworte mir wirklich JEDE Frage, mit Antworten, die ich verstehen konnte (keine Fachsimpelei). Wir haben sogar gemeinsam gelacht! ICH habe mit einem ZAHNARZT zusammen GELACHT! Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ENDLICH das Gefühl habe, dass ich als Patientin ernstgenommen werde und auf meine Bedürfnisse eingegangen wird.

In zwei Wochen habe ich den nächsten Termin. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich darauf freue und ja, ich habe noch immer Angst, aber ich bin auch ein kleines bisschen neugierig auf das was da noch kommt.

2 Gedanken zu „Spielball – Als Angstpatientin beim Zahnarzt“

  1. Vielen Dank für den sehr schönen Beitrag, der die persönlichen Ängste eindringlich skizziert! Als Kind ist es die Angst den Milchzahn zu verlieren, im Alter die Sorge vor der Zahnprothese. Am Ende lässt sich die Angst nur überwinden sich ihrem Angesicht zu stellen. Liebe Grüsse

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