Alter-Schinken-Leseabbruch

„Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zum Genuss und Belebung

oder zur Erkenntnis und Belehrung.“

[Johann Wolfgang von Goethe]

Es ist noch gar nicht so lange her, als ich noch jedes Buch zu Ende las (und jeden Film zu Ende guckte). Immer in der Hoffnung das es noch besser werden würde. Inzwischen ist mir meine Zeit dazu einfach zu kostbar. Aber WANN bricht man ein Buch denn ab? Wie lange sollte man „durchhalten“? Bis zum Hauptteil oder doch schon nach wenigen Seiten? – Ich finde das ist ganz verschieden. Als ich damals „Herr der Ringe“ las brach ich das Buch bereits nach 30 Seiten (!) ab. – Zu diesem Zeitpunkt kannte ich bereits die Lebensgeschichte jedes Grashalmes und jedes Luftmolekül mit Namen. – Ja, ich mag bildliche Beschreibungen, aber irgendwo hört es selbst bei mir auf!

Auch jetzt brachte mich ein Autor dazu sein Buch aus der Hand zu legen. Er ist tot der Gute, also wird er es mir wohl nicht vergrellen. Sicher sind gerade in „alten Schinken“ immer wieder Ansichten und Handlungen die damals normal und heute verpönt sind. Aber ich bin nun einmal ich (Weise Erkenntnis, gell? 😉 ) und so weiß ich um menschliche Gräueltaten bereits so viel, dass ich sie nicht zwingen auch noch lesen muss. In diesem Fall geht es um die Geschichte „Tobias Mindernickel“, welches niemand geringerer als Thomas Mann geschrieben hat. In dieser heißt es unter anderem:

„[…]Nun, nun, du brauchst dich nicht zu fürchten, du Tier; das ist nicht nötig.“ Hierauf entnahm er einer Kommondenschieblade einen Teller mit gekochtem Fleisch und Kartoffeln und warf dem

Tiere einen Anteil davon zu, worauf es seine Klagelaute einstellte und schmatzend und wedelnd das Mahl verzehrte. […] Der Hund, in der Erwartung, vielleicht noch mehr zu essen zu erhalten, kam in der Tat herbei , und Tobias klopfte ihm beifällig auf die Seite.. […]Diese Übung wiederholte Tobias mit unermüdlicher Freude am Befehl und dessen Ausführungen wohl zwölf- bis vierzehnmal; endlich jedoch schien der Hund ermüdet, er schien Lust zu haben, zu ruhen und zu verdauen, und legte sich […] auf den Boden. […] „du hast zu kommen, auch wenn du müde bist!“ […] „Gehorchen, oder du wirst erfahren, daß es nicht klug ist mich zu reizen!“ […] Da packte den Mindernickel ein maßloser, ein unverhältnismäßiger Zorn. Er ergriff seinen schwarzen Stock, erhob Esau am Nackenfell empor und hieb auf das schreiende Tierchen ein, indem er außer sich vor entrüsteter Wut und mit schrecklich zischender Stimme einmal über das andere wiederholte: „Wie, du gehorchst nicht Du wagst es, mir nicht zu gehorchen?“ […] Endlich warf er den Stock beiseite, setzte den winselnden Hund auf den Boden […]während er dann und wann einen stolzen und zornigen Blick auf Esau warf. […] blieb er vor dem Tiere stehen, das auf dem Rücken lag und die Vorderbeine flehend bewegte […]“

[aus Thomas Mann, Erzählungen, 1959]

ThomasMannErzählungen

Ich kann und mag so etwas einfach nicht lesen, wissend dass es auch in der Gegenwart genug grausame Menschen gibt, die Tieren eben genau das antun … 🙁

Wie sieht es bei euch aus? Wann habt ihr das letzte Mal ein Buch abgebrochen und warum? Oder gehört ihr zu den Lesern die IMMER bis zum Ende durchhalten? Ich bin gespannt. 🙂

0 Gedanken zu „Alter-Schinken-Leseabbruch“

  1. Das ist schon etwas länger her. Es war bei mir auch Herr der Ringe. Ich fand das Buch einfach schwer zu lesen. Es hat mich nicht gefesselt. Deswegen breche ich auch Bücher ab. Wenn mich die Geschichte nicht gefällt dann lege ich das Buch weg. Und versuche mich später nochmal dran.

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  2. Ich gebe grundsätzlich jedes Buch auf, das mich nicht mehr interessiert. Wenn ich merke, dass ich über Wochen hinweg keine Spur von Interesse hätte, das Buch auch nur aufzuschlagen, wird es meist endgültig beiseite gelegt. Es gibt so unendlich viel Literatur auf der Welt, warum sich mit den uninteressanten oder unangenehmen Exemplaren aufhalten. Dummerweise muss das eine oder andere Fachbuch sein, auch wenn es gnadenlos langweilt… 😤

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  3. Einen Thomas Mann bis zum Ende zu lesen, ist mir noch nie gelungen. Generell bin ich eher ein „An-leser“, es muss mich schon packen, wenn ich bis zum Ende dabei bleiben will. Andererseits lese ich manche Sätze zweimal, weil ich sie so schön finde…

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  4. Ohne Kapitel gebe ich dem Buch gut 20 Seiten. ist der Rotwein gut, tu ich mir zwei Kapitel an, wenn sie nicht zu lange sind. Und nimmt es mir bis dann nicht den Ärmel hinein, kommt es einfach mal ins Büchergestell. Vielleicht war meine Stimmung ja nicht die richtige im Moment (kann mir auch bei Musik passieren. Natürlich, die kommt nicht ins Büchergestell 🙂 ) Das letzte Mal, das ich aufhörte, war bei „Don Quixote von la Mancha“. So lieb wie er meinetwegen ist, er ist mir einfach zu blöde oder doch zu naiv….

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  5. ich bin offenbar ein mensch der vielen antworten. auch zu deiner frage hab ich keine antwort nach dem schema des heute so oft besungenen masterplans. beispielsweise habe ich in meinem lesefreudigen leben eine menge bücher mittendrin aus der hand gelegt. als ich dieselben nach jahren wieder aufschlug, fesselten sie mich plötzlich. so ging es mir mit dem „glasperlenspiel“ von hesse. bei manchen büchern habe ich das lineare lesen aufgegeben und lese sie hin und her oder gar im kreis – manchmal kommt dann irgendwann ein „aha“. diese methode klappte beim „herr der ringe“ nicht. das buch war ansich gar nicht mein ding, ich wollte ihm aber mehrmals eine chance geben – war aber völlig sinnlos. doch es gibt autoren, deren bücher ich nicht aus der hand legen kann, dazu zählen maxim gorki, panait istrati, ernest hemingway, erich kästner, jim knipfel, doris lessing. doch die autoren der großen verschwörungsromane konnten mich bislang nicht zum längeren lesen ermuntern – auch nicht im kreis…

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