Der Alptraum beginnt erst mit dem Erwachen [Nachruf]

DER ALPTRAUM BEGINNT ERST MIT DEM ERWACHEN

Die Nacht vom Mo, den 23.09. auf dem Di, den 24.09. schlief ich mehr als unruhig. Ich hatte einen ganz komischen Traum: Ich träumte von meinem Kater und meiner Mutter. Bisher waren sie noch nie zusammen in einem Traum. Aber das komische war, dass sie mich drängte Harlekin abzugeben. Mit allen Mitteln. Sie war total versteift darauf und versuchte sogar ihn mir zu stehlen. Ich wachte auf. Ich brauchte einen Moment um zu begreifen, wo ich war und das es nur ein Traum war. Beruhigt wollte ich weiterschlafen, doch ein Geräusch was da einfach nicht hingehörte, lies mich nicht. Es klang wie Metall und kurzzeitig erwischte ich mich bei dem Gedanken, wer denn bei diesem Wetter schon Schnee schieben würde. Dann übermannte mich die Müdigkeit. Und ich träumte genau das gleich noch einmal: Meine Mutter die darauf drängte ich solle Harlekin abgeben. Mit einem Unterschied. Diesmal fragte ich sie nach dem Grund und sie antwortet: „Bevor ihm was passiert!“ Ich wachte auf.

Mit klopfendem Herzen ging ich durchs Haus, den üblichen morgendlichen Rundgang um allen einen „Guten Morgen“ zu wünschen. – Und mich zu beruhigen. Doch ausgerechnet meinen Kleinen konnte ich nirgends entdecken. Meine Stimme zitterte, als ich Miguel nach ihm fragte. Doch auch er hatte ihn an diesem Morgen noch nicht gesehen. Ich fühlte förmlich wie ich blass wurde. Kurze Zeit später rief ich die Katzen zum Frühstück. Harlekin blieb fern. Ich versuchte mir einzureden, dass er einfach ein Stück weiter weg ist und gleich kommen würde.

Und dann kam der Moment, der alles veränderte:

Es klingelte an der Haustür. Als ich öffnete stand dort ausgerechnet unsere Nachbarin. Ich dachte schon sie hätte wieder irgendwas zu meckern. Ich hätte sich alles besser verkraftet, als die Worte die aus ihrem Mund kamen:

„Heute Morgen ist hier eine Katze von der Polizei abgeholt worden. Sie ist überfahren worden. Ich wollte Ihnen nur bescheid sagen, falls sie eine vermissen. Eine schwarze war das.“ *dong* *dong* *dong* … In meinem Kopf hämmerte es nur noch. Erstaunlich sachlich, wie jemand der noch nicht begreift, was er da grade gehört hat, antwortete ich das wir tatsächlich eine schwarze Katze vermissen würden. Die Nachbarin sagte noch, dass es hier die Polizei in Blumenthal war und verschwand nachdem ich mich bedankt hatte.

Ich schloss die Tür und brach zusammen. Auf dem Boden saß ich, von Weinkrämpfen geschüttelt. Miguel kam fragend auf mich zu.

„Azrael?“ Kopfschütteln. „Harlekin?“ Nicken. „Was ist passiert?“ Ich war zu keiner Antwort fähig. „Was ist passiert?“ Schluchzen. „Was ist passiert?“ … Diese Frage klang immer verzweifelter… Irgendwann brachte ich einige abgehackte Sätze zustande und er begriff…

Ich bat Miguel zu telefoniert. Kein Wort hätte ich heraus gebracht. Zumindest keines, was jemand am anderen Ende der Leitung verstanden hätte. Und das tat Miguel. Wie ein Irrer diskutierte er mit Beamten, stellte Fragen und lies sich nicht abwimmeln. Doch die Suche nach dem „Unfallopfer“ sollte schwierig werden, denn die Polizeizentrale gibt keine Durchwahlen der Wachen raus. Im Telefonbuch oder Online bekommt man sie auch nicht.  Wie sollten wir denn aber nur wissen, an wen wir uns wenden müssen? Wir fanden drei Polizeiwachen in Blumenthal und entschieden uns dafür, bei der anzufangen, die die selbe Postleitzahl hat wie wir. Glücklicherweise waren wir dort nicht nur richtig, sondern auch die Streife von heute Morgen war vor Ort. Eine junge Polizistin bestätigte den schwarzen Kater. Sie sagte „Er war ganz schwarz“. Bei mir löste das natürlich den Griff nach dem Strohhalm aus: „Harlekin hat einen weißen Fleck auf der Brust!“ Sie erzählte uns wo wir das Tier finden würden und meinte es sollte wohl noch dort sein. Wir brachen sofort auf.

LEICHE IM KELLER

Endlich (!?) hatten wir den Recyclinghof erreicht. Je näher wir dem Tor kamen, desto schneller klopfte mein Herz. Ich hatte Angst. Miguel erwies sich als großer Bruder und riet mir davon ab, gleich in die Tüte zu sehen. Er könnte das für mich machen. Aber nein, ich MUSSTE das einfach selbst machen. Egal wie grausam das Bild auch sein mochte. Ich vertraue meinem Bruderherz, aber dennoch hätte ich immer den Gedanken gehabt: „Was wenn er mich angelogen hat, um mich zu schützen?“ Ich musste den Kater sehen. Einfach um Gewissheit zu haben. – Und was Miguel nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Klang von kratzendem Metall auf Asphalt längst in meinem Kopf festgebrannt …

Der erste Schock ereilte mich als ich die „Halle“ sah: Einen Container. Der zweite als ich die „Kühlkammer“ sah: eine Gefriertruhe. Der dritte als ich die „Aufbewahrungsbehälter“ sah: Müllbeutel … Das tat so weh! In all diesen Beutel lagen Tiere, die vielleicht irgendjemanden hatten, der sie liebte. Lieblos und gestapelt. Das war einfach nicht richtig! Das IST es nicht!

Der Blick in die blaue Tüte. Miguel: „Das ist er!“ Mit dem letzten Fünkchen Hoffnung fragte ich: „Und der weiße Fleck?“. Doch leider sahen wir auch diesen und zusammen mit dem schmalen Gesicht, den spitzen Zähnen und den kleinen gold-grünen Katzenaugen, war es eindeutig. Dieser kleine gefrorene Kater war „my little sweatheart“…. :,(

Es ist unheimlich: Er sieht genauso aus, wie auf dem letzten Foto, welches ich von ihm geschossen hatte. Am Abend davor, beim Fressen. Genau so, mit der heraushängenden Zunge, den leicht verdrehten Augen und dem weit aufgerissenem Maul. Vielleicht ist es gut so. Kann ich ihn so doch in eben dieser Erinnerung behalten…

Ich habe „meinen Kleinen“ auf den Armen, den ganzen Weg nach Hause, getragen. Es war schwer, nicht nur körperlich. Aber es war wieder einer dieser Dinge bei denen man das Gefühl hat, sie einfach tun zu müssen.

Damit Harlekin erst einmal in „Sicherheit“ war, legte ich ihn in den Keller. Sicher nicht der schönste Ort und bei dem Gedanken an den … die Plastiktüte war mir erst recht nicht wohl. Ich konnte kaum erwarten ihn dort raus zu holen und würdevoller zur Ruhe zu betten.

NICHT EINMAL DER TOD IST UMSONST (ER KOSTET DAS LEBEN)

Meine Mutter beliebte nach dem Tod meines Vaters immer zu sagen, dass sie „funktionieren“ würde. Ich glaube in diesem Moment funktionierte ich auch einfach nur noch: Kaum Zuhause angekommen griff ich nach dem Telefon und wählte die Nummer des Tierfriedhofes. Es waren vielleicht grade drei Wochen vergangen, als ich den Link zu ihrer Homepage speicherte und Harlekin versprach das er dort seine letzte Ruhe finden würde. (Ich konnte nicht ahnen, wie schnell ich dieses Versprechen würde einlösen müssen!)

Nur leider konnte ich nicht ahnen, dass ich direkt bei bzw. vor der Bestattung zahlen müsste. Nun wäre das Geld nicht das Problem gewesen, aber leider der Zeitpunkt. Nachdem ich dann einen Termin für die Beisetzung organisiert hatte, brauchte ich nun auch das „nötige Kleingeld“. Glücklicherweise hat mein Bruderherz eine Bekannte, die mir aushalf. Ich selbst hätte sie wohl nie gefragt…

Das ausgerechnet zwei Menschen mir in schwerer Stunde beistehen würden, die mir – bisher- nicht sonderlich sympathisch sind, hätte mir nie träumen lassen.

LEICHENSCHMAUS

Am Abend kam mein Göttergatte vorbei. Ich hatte ihn darum gebeten. Allerdings wusste er nicht warum. Als er mich sah, gezeichnet von den Ereignissen des Tages, nahm er mich in den Arm und fragte vorsichtig: „Was ist jetzt schon wieder passiert?“ … Auch er konnte es nicht fassen, hatte er meinen „Harley“, wie er ihn liebevoll nannte, doch längst ins Herz geschlossen.

Hunger hatte ich keinen. Nicht einmal Appetit. Dennoch haben wir zu dritt einen Leichenschmaus veranstaltet. Natürlich (!?) gab es Rostbratwürstchen. Ja, manchmal hat auch sein Herrchen tolle Ideen. Da es sich um ein Abschiedsessen handelte, habe ich auch ein Würstchen mitgegessen. Es hatte einen fahlen Beigeschmack …

Ich habe den ganzen Abend mit dem Handtuch um die Schultern zugebracht und sogar mit dem Tuch geschlafen, damit es meinen Geruch annimmt. Immer wenn ich aufwachte stellte ich fest, das ich diese Handtuch mit meinem Körper wie einen Schatz umklammerte. Es ist mir kein einziges Mal entglitten. Vielleicht klingt es verrückt, aber ich wollte das Harlekin etwas vertrautes hat. Etwas das ihm beim Übergang hilft keine, oder zumindest nicht soviel, Angst zu haben.

ERSCHRECKENDE LOGIK

Aus Erfahrung weiß ich, dass es nicht besser wird, wenn man nichts isst. So habe ich mir zum Frühstück etwas reingezwängt. Doch dann hatte ich Harlekin vor Augen, wie er immer beim Frühstück auf unsere Schöße geschlichen ist, um dann (mehr oder weniger) heimlich etwas vom Tisch zu stibitzen. Bei den Erinnerungen dauerte es nicht lange und ich lag weinend in Ron’s Armen…

Am Mittag hatte ich ein wichtiges Gespräch. An dieses hatte ich bei der Terminabsprache mit dem Friedhof gar nicht mehr gedacht. Zum Glück dauerte es nur kurz, denn ich konnte mich kaum konzentrieren. Besonders die Fahrt dorthin lies mich immer wieder in Gedanken versinken, die mir Tränen in die Augen trieben.

Wieder zurück stand mir der schwerste Gang bevor: Harlekin musste für seinen letzten Spaziergang vorbereitet werden. Dafür musste er aus dem Sack herausgeholt und in das Handtuch eingewickelt werden. Ich hatte schreckliche Angst das er vielleicht auf der „falschen“ Seite liegen und ich nicht mehr auf sein Gesicht schauen würde. Auch wenn ich es mir nicht nehmen lies, diese „Balsamierung“ selbst durchzuführen, so stand Miguel doch an meiner Seite. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Mit zitternden Händen schnitt ich den Sack auf – und war erleichtert, als ich in das freche Gesicht meines Kleinen blickte. Mit Logik, die mich in Anbetracht der Situation erstaunte, schaffte ich es ihn das Badetuch zu wickeln.

Das extra für ihn gebratene Rostbratwürstchen bekam er natürlich auch mit auf seine letzte Reise. Immerhin hat unser kleiner Schelm uns diese immer gebracht. Nun sollte er eine von uns bekommen. Ich steckte sie ihm zwischen die Pfoten. Er hielt sie sofort gut fest. Schätze die gibt er nicht wieder her. 😉

Erst wollten wir noch rote Rosen kaufen, doch dann kam mir in den Sinn das dies nicht persönlich genug wäre. In unserem Garten suchten wir die schönsten Blumen die wir finden konnten und schnitten sie ab. Es war eine Wahl des Herzens und somit waren diese Blümchen zu diesem Zeitpunkt vermutlich die schönsten der Welt, denn in ihnen steckte viel Liebe…

LETZTE RUHE

Ich habe es mir nicht nehmen lassen, Harlekin auf den Armen zum Tierfriedhof zu tragen. Es war mir egal wie es für andere aussah, dass ich ein Handtuch in ausstreckten Armen, umschlungen, durch die Straßen trug und mit ihm redete. Ich hatte Harlekin versprochen für ihn da zu sein. Bis zum Ende. Genau das tat ich.

Wir knieten an seinem Grab, schwelgten in Erinnerungen und wünschten ihn eine gute Reise. Keine Ahnung wie lange wir dort saßen, abwechselnd ins Grab und in den Himmel starrten. Miguel war der Erste, der die Blumen ins Grab legte. Es dauerte bis ich mich ebenfalls dazu überwinden konnte meinen kleinen Blumenstrauß auf Harlekin zu legen. Eine kleine Erinnerung an „seinen“ Garten. Für uns das Zeichen zum Aufbruch. Ich versprach bald wieder zu kommen und es ihm schön zu machen.

Auf dem Rückweg hielt ich die Mappe, die der Friedhofswärter mir gegeben hatte, fest an meine Brust gepresst. Ich brauchte irgendetwas an dem ich (mich) festhalten konnte – und dennoch: Meinen kleinen geliebten Kater dort liegen zu sehen, hatte etwas ungeheuer befreiendes. Ich hatte erwartet während der Beerdigung zusammen zu brechen, doch ich dachte an all die schönen Momente die ich mit dem „kleinen Stinker“ erleben durfte. Diese Erinnerungen zauberten mir ein Lächeln auf’s Gesicht. Und an eben diesen Erinnerungen werde ich mich festhalten. Meine Gefühle waren mehr als durcheinander. Wie aus heiterem Himmel sagte ich: „Irgendwie fühle ich mich schlecht, weil ich mich grade gut fühle.“ – „Ich hau‘ dich gleich!“ erwiderte Miguel. Darf man sich „gut“ fühlen, obwohl man grade jemanden beerdigt hat??? Diese Frage lässt mich immer noch nicht so ganz los.

Den Schlüssel zum Friedhofstor habe ich mit einem Gummiband an einem Duschring befestigt. An den zwei Dingen die er (nach uns = Frauchen + Herrchen) am meisten liebte. Gummiringe hat Harlekin sich gerne von Tischen „geklaut“. Die machen so tolle Bewegungen und man kann herrlich daran ziehen. (Überhaupt war er ein kleiner Gummifetishist:  Radiergummis, Gummischuhsohlen, … nichts war vor ihm sicher.) Duschringe hat er apportiert. Seine Vorliebe dafür fand ich irgendwann einmal durch Zufall raus. Mein Duschvorhang war heruntergefallen oder ich hatte ihn gewaschen, so genau weiß ich das nicht mehr. In jedem Fall nutzte Harlekin die Gelegenheit sich an dem Stapel Duschringen zu „vergreifen“ und fing an damit zu spielen. Ich warf einen dann einfach mal durch den Raum und siehe da: Mein kleiner Knuffel brachte ihn mir zurück. Seit diesem Zeitpunkt war dies sein Lieblingsspielzeug. 🙂 – Genau deswegen wird er auf seinem Grab einen Duschringbaum bekommen! Ich habe noch keine genau Vorstellung wie er mal aussehen wird, aber ich werde eine Möglichkeit finden. Ich habe es ihm versprochen. – Und ich halte meine Versprechen!

DAS SCHICKSAL HAT SCHWARZEN HUMOR

Anfang der Woche hatte ich meinen Kleinen Star für einen Fotowettbewerb (REWE Catwalk)  angemeldet. An diesem Abend, nachdem ich ihn zum Grabe getragen habe, kam die Email mit der Freischaltung. Welch Ironie.

Das letzte von Harlekin enstande Foto. Einen Abend bevor er von uns gehen musste...
Das letzte von Harlekin enstande Foto. Einen Abend bevor er von uns gehen musste…
schwarzer Humor des Schicksals ...
schwarzer Humor des Schicksals …

0 Gedanken zu „Der Alptraum beginnt erst mit dem Erwachen [Nachruf]“

  1. KENNE ICH
    nicht so dramatisch wie bei dir.
    mein kater, der HANIBAL genannt werden wollte, ging von mir, nachdem wir energietherapeutisch sein hiersein um einhalbes jahr verlängert hatten.
    WIR waren und sind EINS.
    ER ist bereits wieder auf der erde, doch hab ich ihn/sie noch nicht entdeckt.
    ich hab IHN einäschern lassen und durfte IHM im garten der vermieter ein plätzchen einrichten.

    ICH BIN LUISE

    ALLES IN DEN UNIVERSEN IST PERFEKT

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