Schwäbische Possen…. [by occ]

Seit Jahren lebe ich in der Diaspora, genauer: im Schwabenland. Das ist ungefähr so, als wenn ein Wikinger dazu verdonnert würde, aus seinem Drachenboot in ein Kreuzfahrtschiff umzusteigen. Fremde Sprachen allenthalben, komisches Essen, saure Getränke und das Betragen der Mitpassagiere lässt auch zu wünschen übrig. Der Zusammenhalt, der Sonnenschein in diesem Sommer, das richtige Meer, die Solidarität und der Kampfgeist des Nordens fehlen mir auf diesem schwäbischen „Kulturdampfer“.

Die Schwaben sprechen von ihrem Teil des Bundeslandes Baden-Württemberg vom „Ländle“. Diese Verniedlichung übrigens ist ein fester Bestandteil ihrer Umgangssprache und wird fast jedem Substantiv hinzugefügt. Dieses Bundesland gehört bekanntermaßen- und nicht zuletzt deshalb bekannt, weil die Schwaben es allenthalben jedem erzählen, ob er es nun hören will oder nicht, zu den „reicheren“ Bundesländern. Einhergehend damit meinen sie, dass dieser Reichtum von schwäbischen Tugenden herrühre: Rechtschaffenheit, Fleiß, Schaffe Schaffe Häusle baue, Kehrwoche und Sparsamkeit. Kaum einer erinnert sich hier noch an den Marshall-Plan.

Doch jetzt komme ich zu einem Vorfall, den ICH für typisch schwäbisch halte:

Im Jahre 2011 kam es in Bezug auf den Strecken- und Bahnhofsumbau in Stuttgart, bundesweit als Stuttgart 21 bekannt, für schwäbische Verhältnisse zu revolutionärem Aufbegehren gegen das Bauprojekt seitens einer neuen bürgerlichen Spezies im Schwabenland: den „Wutbürgern“. Im Lande der Rechtschaffenheit eine verblüffende Population einer vormals völlig unbekannten Spezies. Dieser Widerstand der Wutbürger führte zu einem landesweiten Referendum für oder gegen die Finanzierung dieses Bauprojektes.

58,9% aller Bürger im Lande Baden-Württemberg wollten dieses Bauprojekt- eine denkbar knappe Entscheidung, denn die Konsequenzen tragen die Bürger der Stadt Stuttgart: Baulärm, Verspätungen des Nahverkehrs, verstopfte Straßen, Dreck und ob das Mineralwasser in Cannstatt in 10 Jahren auch noch da sein wird wo es heute noch sprudelt-wer weiß? Als Demokrat beugte ich mich dem Referendum und suche meinen Frieden. Bis vorletzte Woche!

In dem kleinen Teilort von Horb am Neckar, Talheim genannt, zu Füßen des Schwarzwalds gelegen und ca. 60 Km südwestlich von Stuttgart entfernt, konnte man als außenstehender Nichtschwabe einen für normale Menschen verblüffenden Vorgang wahrnehmen. Talheim hatte im Zuge des Referendums mit 70% für das Bauprojekt gestimmt- wir erinnern uns: 58,9% war der landesweite Durchschnitt. Was immer die Talheimer für dieses Bauprojekt fern ihrer Heimat euphorisiert hatte, die Gerechtigkeit, aus Sicht jedenfalls manch Stuttgarter, fällt nun zurück auf Talheim! Die Deutsche Bahn, als Bauträger von Stuttgart 21, hat einen alten Steinbruch am Rande von Talheim für die Endlagerung von Teilen des gipsdurchwirkten Erdaushubs aus Stuttgart auserkoren. Damit würden dann täglich ca. 60 beladene LKW durch Talheim zum Steinbruch und wieder zurück fahren und das über einige Jahre. Und nun bildet sich Widerstand unter den Rechtschaffenden!!!

Dreck und Lärm, den die sauberen Bürger von Talheim den fernen Stuttgartern zu gern zugemutet hatten, kommt vielleicht in Teilen auch nach Talheim 21. Anstatt demütig den Kopf einzuziehen und sich mit doppelt soviel Kehrbesen und Ohrenschützer auszustatten, wollen diese Talheimer den Dreck nicht, den sie den Stuttgartern gönnen.

Fazit: im Schwabenland findet Sauberkeit vor der eigenen Tür statt, Demokratie allerdings erst nach der Kehrwoche.

[occ]

Stuttgart21

0 Gedanken zu „Schwäbische Possen…. [by occ]“

  1. Ein Schwabenstreich, wie man ihn eben nur dort findet…
    Sei mir die Schwaben vor 10 Jahren in ihrem Ländle großzügig Asyl gewährt haben (ich komme aus dem benachbarten Deutschland), hat der Begriff „Schwabenstreich“ für mich zusehends an Substanz gewonnen und ich denke, im Zuge der Verwirklichung des Oberstreiches, Stuttgart 21, werden noch einige solcher Geschichten zu erzählen sein.

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