Weihnachtsmarktasylant by occ

Kaum zu glauben, aber wirklich wahr: Nach einem Jahr, einem Monat und 23 Tagen hat meinen Gastschreiber occ die Muse gepackt. Endlich wie ich anmerken möchte, denn ich vermisste seine Zeilen bereits. Natürlich möchte ich euch seine Zeilen nicht vorenthalten! Folgt ihm auf – oder besser durch – den Weihnachtsmarkt. Viel Vergnügen! 🙂

[Kommentare dürft ihr gerne unter dem Beitrag hinterlassen. Occ wird sie lesen und ggf. antworten. ;)]

Auf der Jagd nach Weihnachtsgeschenken hatten wir uns den vergangenen Samstag als Einkaufstag auserkoren. Ja, mir war klar dass es schlimm werden würde. Ich meide Menschenmassen, denn die Erfahrung zeigt mir, dass es ohne Aggressionsausbrüche meinerseits gegenüber irgendeinem deutschen Michel nicht abgeht, der, wie so häufig, sich mir in den Weg stellt und pöbeln will. Meiner Partnerin ist so etwas natürlich peinlich, aber ich bin nun ein Mensch geworden, der ungern etwas runterschluckt sondern erstmal verbal zurückschlägt.
Interneteinkäufe versuche ich nach wie vor so gering wie möglich zu halten- hab was gegen die Verschrottung von Städten und der Discounterüberflutung.Weihanchtsmann

Helm ab zum Gebet und dann ab in den Konsumnahkampf. Um spezielle Dinge zu finden, braucht es schon Fachgeschäfte mit geschultem Personal. In der Stadt merkt man auch schon die Auswirkungen des e-commerce: Fachgeschäfte ziehen sich zurück, fachliche Beratung ist zu teuer geworden für die Unternehmen, die Leute schauen eh nur auf den Preis- die Verblödung von uns allen nimmt immer mehr Fahrt auf. Eine langwierige Suche stand uns bevor.

Begleitet wurden wir von tausenden von Menschen, die sich durch die Innenstadt schoben, die Laufwege waren zu kleinen Gassen geworden, da sich links und rechts Weihnachtsmarktbuden aneinander reihten. Es stank nach Fusel, den die Glühwein nannten und Frittierfett allenthalben. Die Geräuschkulisse war enorm, ein Stakkato von unzufriedenem Gegrunze, halbnüchternes Gelächter von Menschen, sie sich dort tatsächlich amüsieren können, schweizerischen Plattitüden, schwäbischen Geschachere und Kindergequake (warum tun das Eltern ihren Kindern nur an- sie durch solche Orte zu schleusen???)

Also, wir mussten immer wieder durch den Weihnachtsmarkt, der sich in Stuttgart durch diverse Straßen schlängelt, um das eine oder andere Geschäft zu erreichen. Ich suchte Porzellanbecher aus einer alten Serie von Villeroi&Boch. Hatte im Laufe der Zeit diesen Bestand an Bechern bei meiner Partnerin arg dezimiert, Feinmotorik ist mir eher fremd. Aber das gehört jetzt nicht in diese Geschichte. Es gibt Fachgeschäfte für so etwas! Wir waren sogar in denen drin. Und was gab das geschulte Personal in diesen Fachgeschäften unisono von sich?! „ Diese Serie führen wir schon lange nicht mehr- können wir Ihnen auch nicht mehr bestellen, versuchen Sie es doch mal im Internet.“ Ich dachte, ich bin bekloppt!!!!!! Stürze ich mich in den Vorweihnachtstrubel und will die Fachgeschäfte und deren Arbeitsplätze unterstützen und krieg von denen zu hören, dass ich doch besser im Internet auf die Suche nach dem Porzellan gehen sollte!!! Mir wurde langsam schlecht, mein Ärger war auf der Suche nach Opfern. Meine Freundin kennt mich und meinte auch sofort, dass sie mich jetzt auf ne Bratwurst einlädt. Was bei Hunden funzt, das funzt dann wohl auch bei mir- also gingen wir Bratwurst essen. Ich bestellte zwei Würste, die eine kam sofort, die bekam meine Freundin, die andere kam erst 15 Minuten später, da war meine Freundin schon fertig und Kircheich fragte die Verkäuferin, ob ich bei der Jagd auf das Schwein behilflich sein könne. Ich sah den besorgten Blick in den Augen von meiner Freundin und zählte innerlich erstmal bis 50, aß meine Wurst und sagte zu ihr, dass es Zeit wäre, heim zu gehen. In solchen Momenten muss ich mit meinen Augen und meiner Gestalt schiere Angst verbreiten, die Menschen in den schmalen Gassen teilten sich vor mir, keiner kam mir blöde. Ich kenne das schon.

Plötzlich hörte ich Chorgesang aus all den anderen Geräuschen um mich herum. Wir gingen gerade an einer Kirche vorbei. Einer plötzlichen Eingebung folgend zerrte ich meine Freundin hinter mir her in diese Kirche. Was dann passierte war eigentlich unglaublich: in mir breitete sich ein Maß von Ruhe aus als ich dem Chor von jungen Menschen zuhörte, wir konnten uns einfach auf irgendeine Bank setzen, niemand wollte etwas von uns und zuhören. Ein harmonischer Chorgesang von ernsthaften Menschen. Wow- ich kam runter und es war, als wir die Kirche wieder verließen, wie ein Moment des Asyls vom Trubel draussen. Es war ein Weihnachtsmarktasyl.

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